Zwanghaftes Essen – Ein Einblick

Der folgende Text beschreibt unterschiedliche Formen des zwanghaften Essens. Der Text wurde dem Buch Die Zwölf Schritte und Zwölf Traditionen von Overeaters Anonymous entnommen und ist für Betroffene, Fachleute und andere Interessierte gedacht, die mehr über uns und unsere Verhaltensweise wissen wollen.

Ein Einblick

Wenn wir unser Leben mit vollkommener Aufrichtigkeit betrachteten, sahen wir, dass wir uns immer dann unvernünftig und selbstzerstörerisch verhalten haben, wenn es ums Essen ging. Unter dem Zwang sich zu überessen haben viele von uns Dinge getan, die einem geistig gesunden Menschen nie in den Sinn kommen würden. Wir sind mitten in der Nacht kilometerweit gefahren, um die Gier nach Essen zu befriedigen. Wir haben gefrorenes, angebranntes, abgestandenes oder sogar verdorbenes Essen verzehrt. Wir haben von den Tellern anderer gegessen und auch Essen, das auf den Fußboden gefallen war. Wir haben Essen wieder aus dem Mülleimer herausgeholt und es gegessen.

Wir haben oft gelogen, wenn es darum ging, was und wie viel wir gegessen hatten – wir haben gelogen, weil wir uns der Wahrheit nicht stellen wollten. Wir haben Nahrung von unseren Freunden, unserer Familie, unseren Arbeitgebern oder im Lebensmittelgeschäft gestohlen. Wir haben auch Geld gestohlen, um Essen zu kaufen. Wir haben weiter gegessen, auch wenn wir schon satt waren, selbst wenn uns schlecht war vom vielen Essen. Wir haben uns weiter überessen, obwohl wir die ganze Zeit wussten, dass wir unseren Körper verunstalteten und ihm Schaden zufügten. Wir haben das Alleinsein gesucht, um zu essen, haben unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ruiniert und uns ein erfülltes soziales Leben verwehrt. Um unseres zwanghaften Essens willen haben wir uns zur Zielscheibe des Spotts gemacht und unsere Gesundheit zerstört.

Als wir dann entsetzt waren über das, was wir uns mit dem Essen angetan hatten, wurden wir diätbesessen. Wir bezahlten Unsummen für Diätprogramme, wir kauften alle möglichen Appetitzügler, wir gingen in Diätvereine und machten Kuren. Wir ließen uns hypnotisieren und analysieren, am Darm operieren, die Ohren akupunktieren oder die Kiefer verdrahten. All dies taten wir bereitwillig in der Hoffnung, dass wir eines Tages beides haben könnten: unser Essen und unseren schlanken Körper.

Einige von uns liefen von Arzt zu Arzt auf der Suche nach einer Heilungsmethode. Die Ärzte verschrieben uns Diäten, aber damit hatten wir auch keinen größeren Erfolg als mit den anderen Diäten, die wir schon gemacht hatten. Die Ärzte gaben uns Spritzen und Tabletten. Die wirkten eine Zeit lang, aber wir verloren unvermeidbar wieder die Kontrolle und überaßen uns erneut, wobei wir meist das ganze Gewicht wieder zunahmen, das wir mit so viel Mühe abgenommen hatten.

Viele von uns versuchten es auch mit Fasten – mit und ohne ärztlicher Betreuung. Gewöhnlich nahmen wir ab, aber sobald wir wieder zu essen anfingen,kehrte das zwanghafte Essverhalten zurück und damit auch das Gewicht. Einige von uns kamen darauf, sich mit Erbrechen, Abführmitteln oder übermäßigem Sport zu „läutern“. Wir stopften uns mit Essen voll, bis wir körperliche Schmerzen davon hatten, und dann „wurden wir es wieder los“. Wir schädigten unser Verdauungssystem und unsere Zähne und enthielten unserem Körper gleichzeitig die Nährstoffe vor, die zum Leben nötig sind.

Diejenigen von uns, die Übergewicht hatten, bekamen jede Menge Ratschläge, wie sie ihre Idealfigur erreichen könnten; aber nichts löste ihr Problem dauerhaft. Wir stellten fest, dass unser zwanghaftes Essen am Ende doch immer wiederkehrte, egal was wir taten. Auf lange Sicht stieg unser Gewicht und unsere Selbstachtung sank. Nach einiger Zeit wurden wir den Kampf leid und waren entmutigt. Dennoch konnten wir unsere Machtlosigkeit nicht annehmen. Die Aussicht, für den Rest unseres Lebens übergewichtig, krank und ohne Selbstdisziplin zu sein, brachte manche von uns zu dem Schluss, dass das Leben nicht mehr lebenswert sei. Einige von uns dachten an Selbstmord. Manche versuchten es auch.

Die meisten von uns waren jedoch nie so verzweifelt, dass sie an Selbstmord dachten. Stattdessen trösteten sie sich mit dem Gedanken, dass alles in Ordnung sei, solange sie nur genug zu essen bekämen. Das Problem dabei war, dass es mit fortschreitendem zwanghaftem Essen immer schwieriger wurde, genug zu bekommen. Statt Trost zu bringen, ging der Schuss des zwanghaften Essens nach hinten los. Je mehr wir unseren Zwang auslebten, umso mehr litten wir. Trotzdem machten wir weiter. Wie verrückt wir wirklich waren, konnten wir daran erkennen, dass wir noch immer weiter versuchten, im Essen Trost zu finden, lange noch nachdem es angefangen hatte, uns ins Elend zu stürzen.

Sobald wir unser Leben einmal ehrlich betrachteten, wurde es leicht für uns, zuzugeben, dass wir uns in Bezug auf Essen und Gewicht verrückt verhalten hatten. Viele von uns konnten aber ihr zwanghaftes Essen auf die Stunden beschränken, wo sie allein waren, und ansonsten weiter ein relativ normales Leben führen. Tagsüber arbeiteten wir hart – und abends aßen wir feste. Sicherlich waren wir in den meisten Bereichen geistig gesund.

Genauere Selbstbetrachtung förderte aber zu Tage, dass unser Leben auch in vielen anderen Bereichen aus dem Gleichgewicht war: Wir mussten zugeben, dass wir uns nicht geistig gesund verhalten hatten, als wir auf das Bedürfnis unserer Kinder nach Aufmerksamkeit mit Anschreien reagierten oder als wir unseren Partnern gegenüber eifersüchtig und Besitz ergreifend waren; schon zu lange hatten wir in Angst und Sorge gelebt. Da wir uns mit dem Essen wohler fühlten als mit Menschen, schränkten wir manchmal unser geselliges Leben ein. Wir zogen die Vorhänge vor, zogen den Telefonstecker heraus und versteckten uns im Haus.

Wenn wir mit anderen Menschen zusammen waren, lächelten wir und sagten „Ja“, wenn wir in Wirklichkeit „Nein“ sagen wollten. Einige von uns konnten in erniedrigenden Beziehungen nicht für sich selbst eintreten: Wir empfanden, dass wir den Missbrauch verdienten. Oder wir konzentrierten uns auf die Fehler anderer und dachten stundenlang darüber nach, was diese tun sollten, um ihre Probleme zu lösen, während unsere Probleme ungelöst blieben.

Zwanghafte Überesser sind oft Menschen, die zu Extremen neigen. Wir reagierten oft übermäßig heftig auf kleinste Provokationen und ignorierten dabei die wirklichen Probleme in unserem Leben. Einmal waren wir zwanghaft geschäftig, dann völlig apathisch und handlungsunfähig. Wir waren himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt. Wir sahen die ganze Welt in Schwarz und Weiß. Wenn wir nicht alles haben konnten, wollten wir gar nichts. Wenn wir nicht Erster sein konnten, wollten wir das Spiel gar nicht erst mitspielen. Nach und nach erkannten wir, wie viel Schmerz uns unsere Art zu leben zufügte. Allmählich kamen wir zu der Überzeugung, dass wir uns ändern müssten.

Es gibt eine Hilfe

Wenn du dich in dem hier Beschriebenen wiederfindest, heißen wir dich willkommen. Wenn du jemanden kennst, dem dieses Programm nützlich sein könnte, schlage ihm vor, mit Overeaters Anonymous Kontakt aufzunehmen. 

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